Blogbeitrag
12.11.2025

Neugier als Motor: Wie kleine Experimente eine lebendige Lernkultur schaffen

Lernen beginnt nicht mit einem Ziel, sondern mit einer Frage. Wann haben Sie zuletzt etwas gelernt, das nicht auf Ihrem Entwicklungsplan stand? Etwas, das Sie nicht „sollten“, sondern wirklich wissen wollten?

Ein kleiner braun-weißer Hund blickt von oben auf einen offenen Karton herab, mit einem blauen Himmel und Wolken im Hintergrund - er fängt die Neugier ein, als würde er Führung mit Haltung - Von Ken Blanchard & Yvon Chouinard lernen umarmen.

Echtes Lernen beginnt mit Neugier. Neugier ist der Moment, in dem etwas klickt, in dem wir spüren: „Da will ich mehr wissen, mehr verstehen, mehr ausprobieren.“ Und trotzdem: In den meisten Organisationen wird Lernen heute noch stark an Ziele, Strukturen und Kompetenzen geknüpft. Trainings werden belegt, um Anforderungen zu erfüllen. Lerninhalte folgen oft vordefinierten Pfaden. Evaluation fragt: „Wurde das Ziel erreicht?“, nicht: „Wurde etwas entdeckt?“ Das Problem daran: Diese Zielorientierung bringt zwar Ordnung, aber oft wenig Bewegung. Denn Lernen ist kein Haken auf einer Checkliste, es ist ein Prozess, der Freiraum braucht.

Warum Zielorientierung Lernen auch bremsen kann

Natürlich braucht gute Personalentwicklung Struktur, niemand will ins Blaue hinein entwickeln. Aber wenn jedes Lernangebot, jede Maßnahme und jedes Gespräch einem messbaren Ziel folgen muss, entsteht etwas Gefährliches: Lernvermeidung statt Lernfreude. Mitarbeitende fangen an, Dinge „richtig“ machen zu wollen, statt neue Wege zu gehen. Lernformate werden als Pflichtprogramm empfunden. Die Motivation sinkt, selbst wenn der Inhalt relevant wäre.

Kurz: Je stärker das Lernziel, desto schwächer die Entdeckungslust.

Denn echte Lernbewegung entsteht nicht durch Kontrolle, sondern durch Offenheit. Sie braucht Raum, in dem man sagen darf: „Ich weiß es noch nicht, aber ich finde es raus.“

Kleine Experimente – große Wirkung

Die Alternative zur strikten Zielfixierung in der Personalentwicklung liegt nicht im kompletten Verzicht auf Planung, sondern in einem bewussten Perspektivwechsel: weg vom Abarbeiten, hin zum Ausprobieren. Kleine, risikoarme Experimente werden dabei nicht als Ausnahme gedacht, sondern als Prinzip.

Es geht darum, den Mut zu fördern, im Arbeitsalltag bewusst mit Routinen zu brechen. Ein Gespräch einmal anders strukturieren. Ein Meetingformat überdenken und neu gestalten. Eine Methode einsetzen, die man bisher nur vom Hörensagen kannte – nicht, weil es im Entwicklungsplan steht, sondern weil etwas daran neugierig macht.

Diese sogenannten Mikro-Experimente entfalten oft eine erstaunliche Wirkung. Sie brauchen keine große Bühne, keine Genehmigung von oben, kein Schulungskonzept. Sie wirken, weil sie aus eigenem Antrieb entstehen, aus dem inneren Impuls, zu verstehen, wie es auch anders gehen könnte.

Die Neugier ist die mächtigste Antriebskraft im Universum, weil sie die beiden größten Bremskräfte im Universum überwinden kann: die Vernunft und die Angst

Walter Moers

Und genau das ist ihr Erfolgsfaktor: Sie starten nicht mit einem Ziel im Blick, sondern mit einer Frage. Und sie enden nicht mit einem Zertifikat, sondern mit Erkenntnis:

  • Mit einem „Ah, so kann man das also auch machen.“
  • Mit einem neuen Blickwinkel.
  • Mit einer Idee, die sich vielleicht weiterentwickeln lässt.

Kurz gesagt: Diese kleinen Lernmomente sind oft nachhaltiger, ansteckender und wirksamer als viele groß angelegte Entwicklungsmaßnahmen. Warum? Weil sie bewegt werden von Neugier, nicht von Pflicht.

Was eine lebendige Lernkultur braucht

Ob eine Organisation wirklich eine lebendige Lernkultur hat, zeigt sich nicht an der Zahl der besuchten Trainings oder an der Fülle der Lernplattform. Es zeigt sich in der Haltung.

In Teams, in denen Menschen sagen: „Lass es uns einfach mal ausprobieren.“ In Führungskräften, die nicht sofort Lösungen vorgeben, sondern Raum für Ideen lassen. In Momenten, in denen Neugier stärker ist als das Bedürfnis nach Kontrolle.

Solche Kultur entsteht nicht zufällig. Sie braucht bewusste Impulse, tragfähige Strukturen und eine Haltung, die Lernen als offenen Prozess versteht – nicht als kontrollierbares Produkt. Konkret heißt das:

Lernräume ohne Bewertung schaffen

Nicht jede Lernerfahrung muss sofort ein Ergebnis bringen oder verwertbar sein. Im Gegenteil: Gerade dort, wo Menschen ohne Druck ausprobieren dürfen, entstehen oft die wertvollsten Aha-Momente. Zum Beispiel wenn jemand feststellt: „Ich habe etwas erkannt, das ich vorher gar nicht sehen konnte.“ Solche Erkenntnisse sind selten messbar, aber hochwirksam.

Reflexion ermöglichen

Zu oft wird nach Output gefragt: Was wurde erreicht? Was wurde umgesetzt? Doch echte Lernbewegung entsteht durch Fragen wie:
„Was hat mich überrascht?“
„Was würde ich beim nächsten Mal anders machen?“
Diese Art der Reflexion öffnet neue Perspektiven – und aktiviert persönliches Lernen, jenseits von Leistungskennzahlen.

Unsicherheit nicht nur zulassen, sondern fördern

Lernen ist immer auch Risiko. Wer etwas Neues probiert, weiß vorher nicht, ob es funktioniert. Eine Kultur, die Neugier ernst nimmt, braucht deshalb Mut zur Unsicherheit – und Führungskräfte, die genau das vorleben. Die zeigen: Nicht zu wissen ist kein Makel, sondern der Anfang von Entwicklung.

Austausch über Erfahrungen, nicht nur über Erfolge

In einer lernfreudigen Organisation wird nicht nur über Best Practices gesprochen. Sondern auch über das, was nicht funktioniert hat – und was man daraus gelernt hat. Dieser offene Umgang mit Erfahrung, ob erfolgreich oder nicht, macht Peer-Learning möglich: in Lerntandems, in kollegialer Beratung, in kleinen Lernzirkeln. Entscheidend ist nicht die Perfektion, sondern die Bereitschaft, zu teilen.

So entsteht eine Kultur, in der Lernen nicht gesteuert werden muss – sondern ganz selbstverständlich Teil des Arbeitsalltags wird. Weil Menschen Lust haben, sich zu entwickeln. Weil sie sich sicher fühlen, Neues zu wagen. Und weil sie merken: Lernen beginnt genau dort, wo wir uns trauen, die nächste Frage zu stellen.

Die Rolle der Personalentwicklung: Möglich machen

Wenn Personalentwicklung eine lebendige Lernkultur wirklich fördern will, reicht es nicht, nur Programme anzubieten oder Lerninhalte bereitzustellen. Sie muss selbst zur Ermöglicherin werden. Das bedeutet konkret: Personalentwicklung muss Orte und Formate schaffen, in denen nicht Leistung gemessen, sondern Fragen gestellt werden. Trainings dürfen nicht nur schulen, sie müssen etwas in Bewegung bringen.

Es geht darum, Führungskräfte zu stärken, die mit Neugier führen, statt nur Ziele zu verwalten. Und es geht darum, Lernen nicht als einzelne Maßnahme zu verstehen, sondern als Haltung, die den Alltag prägt. Dort, wo PE genau das ermöglicht, entstehen Räume, in denen Lernen nicht mehr „stattfinden“ muss, sondern einfach passiert.

Zwei einfache Fragen können dabei mehr auslösen als jede Zieldefinition:

  1. Was habe ich heute gelernt, das ich gestern noch nicht wusste?
  2. Was würde passieren, wenn wir es einfach mal anders machen?

Diese Fragen sind schlicht – und doch kraftvoll. Sie erinnern uns daran, dass Lernen nicht immer groß, neu oder digital sein muss. Es reicht oft, offener zu denken. Und sich zu trauen, den nächsten kleinen Schritt zu machen, auch ohne fertigen Plan.

Fazit: Mehr Entdeckergeist. Weniger Kontrolllogik.

Dort, wo diese Haltung – das Vertrauen in Neugier, das Zulassen von Experimenten, das Loslassen von Perfektion – wirklich Raum bekommt, entsteht Bewegung oft ganz von selbst. Ohne große Programme. Ohne Zwang.

Mitarbeitende bringen sich aktiver ein, nicht weil sie müssen, sondern weil sie spüren, dass ihre Perspektiven zählen. Ihre Ideen, ihre Irritationen, ihre Fragen werden ernst genommen – und genau das macht Lust, sich einzubringen.

Ich habe keine besondere Begabung, sondern bin nur leidenschaftlich neugierig.“

Albert Einstein

Führungskräfte beginnen, sich selbst als Lernende zu verstehen. Sie reflektieren offener, stellen mehr Fragen, zeigen auch Unsicherheiten – und stärken dadurch das Vertrauen im Team. Denn wer selbst offen bleibt, ermöglicht Offenheit bei anderen.

Teams entwickeln neue Lernräume, ganz ohne formellen Auftrag. Sie beginnen, Erfahrungen auszutauschen, voneinander zu lernen, gemeinsam kleine Dinge anders zu machen, weil der Austausch wertvoller wird als das Rechthaben. Erfahrung wird zur Ressource, nicht zur Absicherung.

Und Organisationen, die solche Lernkultur gezielt stärken, machen eine zentrale Entdeckung: Wirkliche Entwicklung beginnt nicht mit Zielvorgaben, nicht mit Roadmaps oder Zertifikaten, sondern mit dem ersten kleinen Versuch. Mit einem „Was wäre, wenn …?“ Mit der Bereitschaft, Dinge nicht perfekt, aber mutig anders zu machen.

Dort, wo dieser erste Schritt möglich ist, wird aus Lernen wieder das, was es im besten Fall ist: eine Bewegung, getragen von Neugier, gestützt durch Vertrauen, wirksam im Alltag.

Dieser Artikel wurde durch das Buch Tiny Experiments: How to Live Freely in a Goal‑Obsessed World von Anne‑Laure Le Cunff inspiriert.

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