Digitale Lernformate sind gekommen, um zu bleiben. Sie bieten Flexibilität, Reichweite und Effizienz – und sind aus modernen Lern- und Entwicklungsstrategien kaum mehr wegzudenken. Doch inmitten von Zoom-Meetings, digitalen Whiteboards, Lernplattformen und automatisierten Feedbackschleifen stellt sich eine berechtigte Frage: Können wir auch zu viel des Guten tun?
Die Digitalisierung der Lernwelt hat viele Vorteile gebracht – aber auch neue Herausforderungen geschaffen. Menschen verbringen heute oft mehr als acht Stunden täglich vor Bildschirmen – in Meetings, beim E-Learning, in Projektmanagement-Tools. Das führt zu einem Zustand, den Psycholog*innen als “digital overload” bezeichnen: Reizüberflutung, Erschöpfung, verringerte Aufnahmefähigkeit.
Besonders in komplexen Themenfeldern wie Führung, Kommunikation oder Selbstreflexion kann dies kontraproduktiv sein. Denn diese Inhalte benötigen emotionale Tiefe, innere Verarbeitung und sozialen Kontakt – Qualitäten, die sich in rein digitalen Settings nur begrenzt entfalten.
Digitale Trainings- und Lernformate ermöglichen viel – aber sie sind kein Allheilmittel. Gerade in Zeiten, in denen Flexibilität und Skalierbarkeit zu Imperativen geworden sind, lohnt sich die Frage: Geht es wirklich nur um Effizienz? Oder nicht vielmehr um Wirksamkeit?
Viele Organisationen experimentieren bereits mit neuen Formaten, die das digitale Lernen gezielt entschleunigen. Hier ein paar Beispiele aus der Praxis:
Nach mehreren Sessions intensivem Online-Trainings bekamen die Teilnehmenden eine Stunde „Offline-Arbeitszeit“ mit konkreten Reflexionsfragen auf Papier – ohne Bildschirm, ohne E-Mail. Das Feedback: „Endlich Zeit zum Nachdenken – und nicht nur zum Zuhören.“
Ein globales Unternehmen integrierte ein zweitägiges Präsenzmodul zum Start eines zwölfwöchigen digitalen Entwicklungsprogramms. Ziel war es, Beziehungsarbeit und Vertrauen unter den Teilnehmenden zu ermöglichen – ein klarer Erfolgsfaktor für das gesamte Programm.
Ein Kundenprojekt im Bereich „Leading Self“ integrierte ein analoges Journal, das während des gesamten Programms begleitete. Die Teilnehmenden berichteten von mehr Klarheit, emotionaler Nähe zum Thema – und einer höheren Bereitschaft zur Verhaltensänderung.
Die zentrale Aufgabe von Verantwortlichen für Lernen und Entwicklung ist es, Lernräume wirksam zu gestalten. Dabei geht es nicht um Technikverweigerung – sondern um ein sinnvolles Gleichgewicht zwischen Digitalität und Menschlichkeit.
Entscheidend ist, die Bedürfnisse der Lernenden in den Mittelpunkt zu stellen – und dabei auch die Lernpsychologie zu berücksichtigen. Menschen lernen besser, wenn sie sich sicher fühlen, wenn sie Raum zum Denken haben und wenn sie nicht von Reizen überflutet werden.
Ein Training ist kein Technikprojekt – sondern ein Entwicklungsraum für Menschen. Der bewusste Einsatz von Digitalität – inklusive der Entscheidung gegen Technik in bestimmten Momenten – ist ein Zeichen von didaktischer Reife und Fokus auf Wirkung statt Trend.
Digital Detox bedeutet nicht Rückschritt, sondern Rücksicht: auf die Lernenden, auf deren Belastungsgrenzen, auf ihre Bedürfnisse nach Tiefe, Stille und echter Verbindung. Wer diesen Raum schafft, investiert nicht in weniger – sondern in mehr nachhaltiges Lernen.